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Kartenspiel III
Sie war gerade erst sieben Jahre alt, als Sie zum ersten Mal auf Wolke 7 schwebte. Sie traf ihren Traumprinzen, der ebenfalls 7 Jahre alt war. Eigentlich war er kein Prinz, er war der König Ihres Herzens und ging wie Sie in die A-Klasse. Während sie schon das zweite Jahr in der A-Klasse war, war es bei Ihrem herzallerliebsten Prinzen anders.
Der König Ihres Herzens war zuvor in einer B-Klasse an einer anderen Schule und war dementsprechend neu an Ihrer Schule. Bis zur zehnten Klasse sollten beide in die gleiche Klasse gehen. Seit der dritten Klasse waren Sie ein Paar und verbrachten acht Schuljahre zusammen.
In der zehnten Klasse gingen beide zum Abschlussball als König und Dame und beiden – Dame und König – sah man an, dass Sie schon acht Jahre zusammen waren. Nicht dass es öfters zu Streitigkeiten oder so kam. Nein, Sie verstanden sich fast blind. Wenn er Ihr eine Cola holen wollte, brauchte er nicht zu fragen, denn er wusste Sie wollte eine. Auch dass Sie um neun Uhr abends schon gehen wollte, wusste er. Er wünschte sich zwar, erst später nach Hause gehen zu können, doch er konnte Ihr keinen Wunsch abschlagen. Auch einen, den Sie nicht einmal aussprechen musste.
So waren die Beiden ab neun Uhr abends nicht mehr beim Abschlussball dabei und gingen nach Haus. Seine Herzdame konnte so um zehn Uhr abends ins Bett gehen und auch für Ihn begann die Nacht, denn er ließ seine Freundin nie allein. Dies hat er in den letzten acht Jahren sehr selten getan, und ein weiteres Mal sollte jetzt nicht dazu kommen. Zumal er morgen früh wieder raus musste. Sie wünschte sich schließlich ein Frühstück im Bett und dieses bekam Sie um neun Uhr morgens.
Am nächsten Morgen freute Sie sich, dass Ihr stiller Wunsch erfüllt wurde und ihr Herz schlug zehnmal schneller als sonst. Schließlich war es die erste Nacht mit Ihrem Schatz allein in der elterlichen Wohnung. Sie konnten am Morgen also machen, was Sie wollten. Keiner sollte Sie beobachten. Doch die gedachte heile Welt blieb nicht lange bestehen, denn es tauchten dunkle Wolken am Himmel auf.
Siebenmal versuchte Ihre Mutter Sie anzurufen. Siebenmal wurde der Hörer nicht abgenommen. Erst nachdem siebenten Mal ging Sie ran und Ihre Mutter konnte mit Ihr telefonieren. Sie wünschte sich, diesen Anruf nie getätigt zu haben, denn Sie erfuhr nichts Erfreuliches.
Ihr Vater und Ihre Mutter waren gerade auf dem Weg zurück aus dem Urlaub, als das Herz Ihres Vaters aussetzte. Da die Beiden mit Auto unterwegs waren und Ihr Vater am Steuer war, kamen Mutter und Vater von der Straße ab und dann kreuzte noch ein Baum Ihren Weg. Ihre Mutter konnte fast unverletzt aus dem Wagen steigen und einen Krankenwagen rufen, der etwas später vom roten Kreuz kam. Acht Minuten später war der Wagen endlich da und neun Minuten später waren Beide im Krankenhaus.
Insgesamt neun Ärzte und Schwestern kümmerten sich um Ihren Vater. Doch weder die Damen noch der Chefarzt konnten helfen. So überbrachte der Chefarzt die traurige Nachricht, die nun auch Sie von Ihrer Mutter hörte.
Sie wünschte sich, dass der Tag nie gekommen wäre, doch es half nichts. Ihr Vater verstarb viel zu früh und Sie musste schwarz tragen, als zehn Tage später die Beerdigung war. Wegen dem Tod hatte Sie fast acht Tage lang nur geheult und selbst Ihr Herzbube konnte Sie nicht wirklich aufheitern.
Erst am neunten Tag schaffte der König Ihres Herzens Sie aufzuheitern. Nicht viel, aber doch sichtbar. Nach weiteren acht Tagen weinte Sie nur noch selten und war fast jeden neunten Tag bei Ihrem Vater am Grab.
Meist ging Sie alleine mit Ihrem Freund dahin. Doch zehn Jahre später waren Sie zu dritt am Grab Ihres Vaters, denn Ihre achtjährige Tochter wollte auch mit, das Grab zu sehen. Am Grab Ihres Vaters setzte der Schein der Glücklichkeit immer aus und sie heulte, als wäre Sie erst zehn Jahre alt. Der Wunsch Ihrer Tochter und Ihres Mannes, sie solle eine glückliche Dame sein, war am Grab weiter entfernt als jemals zuvor.
Doch neun Minuten später hatte Sie sich schon gefangen, wischte sich siebenmal die Tränen aus dem Gesicht und verließ dann mit Ihrem Mann und Ihrer zehnjährigen Tochter den Friedhof. Acht Jahre später waren alle Drei wieder dort. Während der König Ihres Herzen auf der Seite des Diesseits stand, war Sie auf der anderen Seite. Die Trauer war nicht nur im Herzen der Tochter, sondern auch des Vaters. So traurig, wie er war, setzte nur wenig später auch sein Herz aus und er wechselte ebenfalls die Seite und lebte von nun an mit Ihr im Jenseits.
Der Wunsch der Tochter, dass beide noch an Ihrer Hochzeit teilnehmen sollten, war damit unerfüllbar. Schweren Herzens ging Sie trotzdem zum Altar und lebte von da an halbwegs glücklich mit Ihrem Mann zusammen.