366 Geschichten: Mai 14

366 Geschichten

Das Leben besteht nicht nur aus Arbeit und Schule. Vierundzwanzig Stunden am Tag arbeitet wohl keiner. Nicht sieben Tage die Woche. Auch in der Schule ist keiner vierundzwanzig Stunden. Ich muss teilweise schon um sieben Uhr in der Schule sein. Doch spätestens um sechzehn Uhr dreißig habe ich Schluss. Dann ist Freizeit angesagt.

Am Wochenende beginnt meine Freizeit schon früher. Eigentlich beginnt die Wochenendfreizeit freitags nach der letzten Stunde. Dann fahr ich immer zu einem Freund und wir haben bis zum späten Abend Spaß.

Nach gemeinsamen Schulschluss laufen wir gemeinsam zur Straßenbahn. Wenn ich früher Schluss habe als er, so warte ich auf ihn. Hat er früher Schulschluss als ich, fährt er in der Regel vor und ich folge ihm fünfzig Minuten später.

Seit einigen Jahren ist es bei uns Tradition, dass ich freitags nach der Schule zu ihm fahre. Wir spielen dann. Manchmal nur Karten. Manchmal am Computer oder seiner Spielekonsole. Manchmal machen wir Sport. Spielerischen Sport an seiner Spielekonsole. Manchmal singen wir aber auch um die Wette. Mindestens einmal im Monat ist Karaoke angesagt.

Eigentlich bin ich ganz gut darin. Sofern ich mich konzentrieren kann. Doch vor einigen Wochen war es anders. Mein Freund hatte wie immer in diesem Schuljahr früher Schluss als ich. Ich hatte zwei Stunden länger. So ging ich dann alleine zur Straßenbahn. Bis hierhin war alles wie immer. Es war ein schöner Tag im Mai. Ich stieg in die Straßenbahn ein und fuhr an den Haltestellen eins bis drei vorbei.

Nach der dritten Haltestelle sah ich sie. Ein wundervolles Mädchen lief rechts neben der Straßenbahn auf einer Brücke. Das Mädchen hatte wunderschönes Haar. Es war rehbraun. Als die Straßenbahn vorbei fuhr, sah ich sie weiter an. Ich drehte mich um, so lange ich sie sehen konnte. Dann sah ich wieder nach vorne. Ich wäre gern sofort ausgestiegen, doch die nächste Haltestelle war erst einige hundert Meter später. Eine Notbremsung wollte ich nicht wegen dem Mädchen einleiten. Wer weiß, was das für Konsequenzen hatte. Eine Notbremse sollte ja nur in Notfällen genutzt werden.

Ich weiß nicht warum, aber ich stieg an der nächsten Haltestelle nicht aus. Ich fuhr weiter zu meinem Freund. Dort war ich unkonzentriert. Ich traf nicht einen einzigen Ton beim Singen. Mein Freund bemerkte es natürlich. Er fragte nach den Grund. Ich erzählte es ihm. Ich erzählte von dem Mädchen auf der Brücke. Von den rehbraunen Haaren.

Ich hatte mich auf den ersten Blick verliebt. Ich musste sie wiedersehen. Jeden Freitag fuhr ich mit der Bahn. Ich hoffte jeden Freitag, dass ich sie wiedersehe. Doch so einfach, wie ich es dachte, war es nicht.

Eine Woche später fuhr ich zu meinem Freund. Ich sah sie nicht. Zwei Wochen später fuhr ich zu meinem Freund. Die rehbraunen Haare sah ich nicht. Nach drei Wochen immer noch das selbe Spiel. Ich fuhr zu meinem Freund, doch das wunderschöne Mädchen mit den rehbraunen Haaren war nicht zu sehen.

Erst sieben Wochen später sah ich das Mädchen wieder. Auch diesmal leitete ich keine Notbremsung ein. Doch diesmal fuhr ich nicht weiter. Ich stieg an der nächsten Haltestelle aus und lief zurück. Ich sprach das Mädchen an. Ich redete mit ihr. Ich machte ihr Komplimente. Sie verstand, was ich sagen und fragen wollte.

Auf meine letzte Frage antwortete das Mädchen mit Ja. Sie hatte nichts dagegen, meine Freundin zu sein und das ist sie bis heute. Ich hoffe, ich werde noch viele Jahre mit ihr glücklich zusammen sein. Vielleicht wird sie in einigen Jahren nicht nur meine Freundin sein. Vielleicht wird sie eines Tages auch meine Frau. Wir werden es sehen.

Diese Geschichte ist auch als Buch und eBook verfügbar.