366 Geschichten: Mai 15

366 Geschichten

Ich fotografiere gerne. Dies habe ich schon als Kind getan. Von meinem Bruder habe ich mit sieben Jahren eine Kamera geschenkt bekommen. Mit ihr war ich viele Stunden unterwegs.

Ich fotografierte den Frühling. Die blühenden Pflanzen. Die wiederkehrenden Vögel. Ich fotografierte den Sommer. Wie alles grün war. Wie die Felder voller Weizen und Mais waren. Ich fotografierte den Herbst. Die bunten Blätter. Die kahler werdenden Bäume. Ich fotografierte den Winter. Die schneebedeckten Felder. Die gebauten Schneemänner. Ich fotografierte auch den heimischen Weihnachtsbaum mit seinen Kerzen und Kugeln.

Die Kamera behielt ich einige Jahre. Erst als ich sechzehn wurde, stellte ich die Kamera außer Dienst. Ich sparte einige Jahre lang. Die neue Kamera sollte nicht nur einhundert Euro kosten. Sie kostete siebenhundert Euro. Doch damit konnte ich noch nicht fotografieren. Früher hatte ich eine einfache Digitalkamera. Jetzt war es eine digi­tale Spie­gel­re­flex­ka­me­ra. Eine Digitalkamera hatte ein eingebautes Objektiv. Eine digi­tale Spie­gel­re­flex­ka­me­ra nicht. Ich musste also auch noch ein Objektiv kaufen. Ein billiges und einfaches hätte ich für rund einhundert Euro bekommen. Doch ich investierte in ein etwas besseres. Ich kaufte mir ein Objektiv für zweihundert Euro.

Dieses Objektiv war natürlich noch lange nicht das beste. Es gab natürlich noch viel bessere Objektive. Die kosteten dann aber auch mehr. Sie konnten teurer als die Kamera selbst sein. So viel wollte ich nicht ausgeben. Zu mindestens noch nicht.

Auch mit meiner neuen Kamera wollte ich den Frühling, den Sommer, den Herbst und den Winter fotografieren. Im letzten Jahr bekam ich sie. Den Winter und den Frühling konnte ich schon fotografieren. Heute war der Raps dran.

Rundum mein Zuhause gab es einige Felder. Mal wurde Weizen angebaut. Mal Mais. In diesem Jahr gab es auf fast allen Feldern in der Nähe Raps. Es gab mehrere Möglichkeiten die Rapsfelder zu fotografieren. Um diese Felder herum gab es einige Wege. Manchmal waren es nur Waldwege. Doch es gab auch Rapsfelder, die an der Straße lagen. Neben der Straße gab es einen Radweg.

Auf diesem Radweg lief ich mit meiner digi­talen Spie­gel­re­flex­ka­me­ra. Ich wollte erst einmal von hier den Raps fotografieren. Ich machte Detailaufnahmen. Ich ging auch mal weiter weg. Soweit, wie es auf dem Radweg ging. Dabei versuchte ich auf die Anderen Rücksicht zu nehmen. Doch es gelang mir nicht immer. Zweimal kam ich schon einem Fahrrad in die Quere. Glücklicherweise ist nicht viel passiert. Eine Vollbremsung mussten sie nicht machen.

Doch nicht alle hatten so viel Glück. Der dritte Fahrradfahrer musste eine Vollbremsung machen. Sie - ja der Radfahrer war weiblich - fuhr schnell. Sie klingelte, doch ich bekam es nicht mit. Eine Vollbremsung reichte nicht. Sie musste ausweichen und fuhr leicht in den Graben, der zwischen Radweg und Straße lag.

Sie schimpfte. Das hörte ich. Und ich verstand ihren Ärger. Ich wollte mich entschuldigen. Ich tat es stockend. Als wir uns in die Augen sahen, raste mein Herz. Nicht nur meines. Auch ihr Herz raste. Nicht nur wegen Adrenalin. Sie hatte für mich das gleiche Gefühl, wie ich für sie. Es war die Liebe auf den ersten Blick.

"Lass uns doch eine Cola trinken. Ich lad Dich zum Eis ein. Wir können aber auch ins Kino gehen" sprach ich, als ich meine Stimme wiederfand. Dies sollte meine Entschuldigung sein. Sie trank mit mir eine Cola. Wir aßen gemeinsam ein Eis. Wir gingen zu zweit ins Kino. Doch das war nicht alles. Wir gingen Hand in Hand seit unserem ersten Date. Bis heute sind wir glücklich. Fahren gemeinsam Fahrrad und machen zu zweit Fotos. Dies wird noch viele Jahre so sein. Da bin ich mir sicher!

Diese Geschichte ist auch als Buch und eBook verfügbar.